Junge Menschen stecken in einer Krise?
Nein, den Jugendlichen, welchen Sie begegnen geht es prima. Wunderbar. Freuen Sie sich mit ihnen, das stärkt auch Ihr Wohlbefinden. Oder sieht die Tatsache anders aus? Für Betroffene und das Umfeld ist manchmal schwierig zu erkennen, dass die Krise zu einem Neuanfang auffordern will. Die Chinesen haben dies vor tausenden von Jahren erkannt und in ihrem Schriftzeichen für das Wort Krise verankert. Es ist zweiteilig. Das erste Zeichen bedeutet «Gefahr» und das zweite «Chance». Doch wo verbirgt sich die Chance in einer Krise?
Krisen in Chancen verwandeln
Krisen rütteln an uns. Wir haben Streit in der Familie, mit dem Partner ist die Kommunikation gefühlt unmöglich oder im Freundeskreis gibt es Reibereien. Stürmische Zeiten gibt es in jedem Alter. Aufgrund der hormonellen und physischen Entwicklung ist der Wellengang bei Jugendlichen intensiver. Der Körper verändert sich. Der Druck von aussen steigt: Die Lehrstelle ist immer noch offen, die Erwartungen an die schulischen Leistungen sind immens, die Freundin hat bereits wieder Schluss gemacht, auf Social-Media-Beiträge gibt es nicht die gewünschte Anzahl Likes und noch dazu ist der eine abwertende Kommentar zutiefst verletzend.
Einige Jugendliche können damit umgehen. Sie trotzen dem Orkan. Andere pustet bereits ein leichtes Lüftchen um. Sie fallen in ein tiefes Loch. Für eine Weile darf das auch so sein. Doch entscheidend ist, dass es ihnen gelingt, bald wieder aus dem Loch zu steigen und neuen Lebensmut zu finden. Einmal mehr aufstehen als umfallen. Eine Krise meistern, aus dem Tal der Tränen klettern und mit gutem Selbstwertgefühl zuversichtlich neue Wege schreiten. Die Wissenschaft nennt diese Fähigkeit «Resilienz». Es ist die Krise, welche uns wachrüttelt. Sie fordert uns auf, Schwierigkeiten zu überwinden. Stehaufmenschen wachsen an ihr.
Was braucht ein Stehaufmensch?
Resiliente Menschen nehmen sich selbst und ihr Umfeld bewusst wahr. Was hilft den jungen Erwachsenen dabei? Weg von unserem Leistungsdenken darf wieder gelernt werden, dass Krisen zum Leben gehören. Akzeptanz – leichter geschrieben als umgesetzt. Wie weiter? Kritik hat noch nie Selbstvertrauen gestärkt. Jugendliche und Unterstützende sind aufgefordert, deren Stärken in den Vordergrund zu rücken. Sich auf die Bärenkräfte zu fokussieren – welche Erfolge wurden bereits gefeiert?
Wir Menschen tendieren aufgrund von evolutionären Aspekten gerne dazu, bei den Problemen zu verweilen. Doch es gilt nach Lösungen zu suchen. Welches Unterstützernetzwerk kann beigezogen werden? Welche Beziehungspersonen stärken? Welche Möglichkeiten helfen weiter? Die eigenen Gefühle wahrzunehmen will geübt sein. Die meisten von uns wurden erzogen, immer freundlich und hilfsbereit zu sein. Trauer passt nicht in unser Leistungsleben. Und die Wut? Jugendliche lernen sich in ihrer Entwicklungsphase gerade neu kennen. Da sollen alle Gefühle erst recht Platz haben. Wie die Gäste in einem Gasthaus. Gäste kommen und gehen, manche bleiben länger, manche verweilen kurz. So ist es mit den Gefühlen.
Vor allem die Gedankenschulung will geübt sein: Unsere geistige Willenskraft. Hinderliche Gedanken treten immer wieder auf. Negative Glaubenssätze wie «Ich bin wertlos.», «Ich habe nie Glück.», «Ich bin hässlich.» oder «Das schaffe ich nie» blockieren nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch viele Erwachsene. In solchen Fällen darf Mensch sich fragen, ob dieser Glaube mit absoluter Sicherheit wahr ist. Möchten Sie sich vertieft mit der Gedankenschulung auseinandersetzen, empfehle ich die Methode von Katie Byron (The Work).
Jugendlichen hilft es oftmals schon, sich auf die Grundbausteine der Resilienz zu fokussieren.
Grundbausteine der Resilienz
Die Schottin Brigid Daniel, Professorin für Sozialarbeit, fasst die Basis von Resilienz kurz und knackig zusammen: Ich HABE, ich BIN, ich KANN. Wenn wir uns gut kennen, sind wir stark und bewältigen Krisen besser. Manchmal sind es die kleinen Erkenntnisse, welche Mut und Kraft spenden: Ich HABE Menschen in meinem Umfeld die mich gerne haben und mich unterstützen. Ich BIN eine liebenswerte Person und respektvoll gegenüber mir und meinen Mitmenschen. Ich KANN Wege finden, Probleme und Krisen zu lösen. ICH KANN MICH SELBST STEUERN.
Eine Lehrstelle zum Kapitän des eigenen Lebens dürfte noch geschaffen werden. Viktor Frankl (war Neurologe und Psychiater) hat einmal gesagt, dass nicht entscheidend ist was passiert ist, sondern vielmehr, was wir daraus machen. So darf die Selbstwirksamkeit in den Köpfen der Jugendlichen wachgekitzelt werden.
Fazit
Egal ob Erwachsener oder Jugendlicher, Krisen können wir bewältigen. Resilienz kann entgegen langer Annahme erlernt werden. Bereits erfolgsversprechende Schritte in eine neue Zukunft machen Jugendliche, wenn sie sozial wertvolle Kontakte aufbauen. Zu akzeptieren, dass Krisen zum Leben gehören und Veränderungen hervorrufen, bringt sie in ihrer persönlichen Entwicklung vorwärts. Beginnen Jugendliche die kleinen Dinge im Leben zu schätzen, Dankbarkeit und Mitgefühl zu empfinden, nach Lösungen für ihre Probleme zu suchen und mit Optimismus in die Zukunft zu blicken, so sind sie auf dem Weg zu innerer Stärke. Also rechnen sie mit allem, vor allem mit dem Schönen – auch für die Jugendlichen.
Claudia Arnold, Resilienztrainerin
Sie haben gelesen: «Kann eine Krise eine Chance sein?»