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Time-out Massnahmen in Zeiten von Integration.  Wie passt das zusammen?

Googelt man nach Time-out Angeboten in der Schweiz findet man unzählige Anbieter. Das vielfältige Angebot reicht von kurzen Auszeiten über Sonderklassen, Brückenangeboten, erlebnispädagogischen Interventionen bis hin zu Langzeit-Betreuungen im Ausland. In der Schweiz wird seit Jahren ein integratives Schulsystem angestrebt. Ist diese Weiterentwicklung zur integrativen Schule gescheitert oder weshalb sind auch im Jahr 2020 Time-out Angebote gefragt? (Ein Erklärungsversuch im Bewusstsein der hohen Komplexität von Bildung)

Schule im Wandel

In den letzten Jahrzenten hat sich die Schule stark gewandelt. Allmächtige Lehrpersonen sind ausgestorben. Lehrpersonen sind heutzutage mehr Lernbegleiter und Coaches. Lehrpläne wurden überarbeitet, umstrukturiert und vereinheitlicht. Integration von behinderten, schwachen und verhaltensauffälligen Schülern wird heutzutage an vielen Schulen in unterschiedlicher Intensität umgesetzt. Inklusion ist das Ziel. Schulsozialarbeiterinnen sind in den Schulhäusern präsent. Es hat sich viel getan an den Schulen. Die Lehrpersonen, Heilpädagoginnen, Schulleiter und weiter Fachpersonen leisten jeden Tag einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft, für unsere Zukunft. Gerade deshalb steht die Schule unter genauer Beobachtung. Eltern haben oft hohe Erwartungen an die Schule wie auch an ihre Kinder, der Druck steigt.

Verhaltensauffällige Jugendliche und geforderte Lehrpersonen – ein Blick zurück

Medial gross aufgezogene und diskutierte Einzelfälle von verhaltensauffälligen Jugendlichen und von Lehrpersonen mit Burnout verzerren unser Bild. Verhaltensauffällige Jugendliche und überforderte Lehrpersonen gab es schon immer, fragen Sie mal Ihre Grosseltern. Der Umgang damals war aber anders. Verhaltenskreative Jugendliche wurden mit harten Mitteln abgestraft und unterdrückt. Als Lehrperson durfte man Überforderung nicht zugeben, wenn man seine Arbeitsstelle nicht verlieren wollte. Zudem war die gesellschaftliche Erwartung an eine Lehrperson eine andere. Ohne Internet wusste man früher Bescheid was in näherer Umgebung passierte, die Welt schien einigermassen in Ordnung.

Sensibilisierung und Wandel im Umgang mit Schwächen

Mit dem Schulwandel ändert sich auch der Umgang mit schwachen, aggressiven und verhaltensauffälligen Schülern. Neue Konzepte, wie die Neue Autorität, finden erfolgreiche Anwendung. Lehrpersonen und Heilpädagogen sind vielfältig sensibilisiert, um Schülern eine angepasste und die nötige Unterstützung zu geben. Abklärungen beim Schulpsychologischen Dienst sind nicht mehr aussergewöhnlich. Auf Störungen im Unterricht wird adäquater reagiert. Dies hat einerseits mit dem gesellschaftlichen Wandel und den damit veränderten Erwartungen an Lehrpersonen zu tun. Andererseits wurde im pädagogischen Bereich viel erforscht und untersucht, woraus neue Konzepte und Haltungen zum Thema Lernen und Umgang mit Lernenden entstanden sind, die nun angewandt werden.

Der Umgang mit Schwächen wandelt sich ebenfalls. Lehrpersonen dürfen heutzutage ebenfalls Schwäche zeigen. Wer zu seinen Schwächen steht, bezeichnet man als stark. Es wird offener kommuniziert, dass man nicht alles weiss, Fehler macht, herausgefordert, überfordert oder ausgelaugt ist. Dies braucht allerdings auch Mut und Selbstsicherheit, da man sich angreifbar macht.

Ausserdem verbreitert die Schule ihre Angebote. Waldkindergärten, e-learning, verschiedene etablierte Unterstützungsprojekte wie LIFT oder Klassentausch bieten Chancen herausfordernden Situationen vorzubeugen. Trotzdem stossen Schulen regelmässig an ihre Grenzen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen.

Time-out für Schüler*Innen und Lehrpersonen

Es gab und gibt sie immer noch. Kinder und Jugendliche, die den Rahmen sprengen und bei denen alle schulischen Mittel nicht greifen – Systemsprenger. In einem Schulzimmer verhindern sie den Lernprozess der anderen Schüler und fordern einen Grossteil der Ressourcen der Lehrpersonen, auf welche die anderen Schüler ein Anrecht haben. Solche Kinder haben ebenfalls ein Anrecht auf eine angepasste Begleitung durch ihre Krisenzeit. Ein Time-out kann hier für Entlastung aller Beteiligten sorgen: Kinder, Eltern, Lehrpersonen und Mitschüler. Es entsteht neuer Raum zum Durchlüften, Reflektieren und Neuausrichten.

Time-out oft während einer Phase des Umbruchs

Auszeiten finden häufig in der zweiten und dritten Oberstufe statt. Die Jugendlichen stecken mitten in der Pubertät, wollen sich von ihren Eltern lösen und sind doch noch auf sie angewiesen, sind mit selbst beschäftigt und stark abhängig von ihren Peers. Als wäre das nicht genug, steht auch noch der grosse Schritt in die Berufswelt an. Jugendliche fühlen sich in dieser Zeit stark unter Druck, alle wollen etwas von ihnen, dabei wollen sie doch einfach in «Frieden» gelassen werden. Heftige Widerstände, Protest, Rückzug oder unerklärbares Verhalten sind Versuche sich Gehör und Platz verschaffen. Wird ein Time-out in Betracht gezogen, muss genau hingeschaut und zugehört werden, was die einzelnen Beteiligten benötigen.

Time-out bietet, was die Schule nur bedingt anbietet

Ein Time-out oder Auszeit sollte mehr bieten, als bloss eine Fortführung des schulischen Inhalts an einem anderen Ort mit enger Betreuung. Persönlichkeitsstärkung, Auseinandersetzung mit den eigenen Ressourcen und Schwächen und positives Erfahren von Selbstwirksamkeit sind ebenso zentral wie systemisches Arbeiten mit dem Umfeld der Jugendlichen.

Ihre negativen Glaubenssätze, geprägt durch das Umfeld, halten sie gefangen. Ein Time-out soll neue Räume für Entwicklung schaffen, in welchen sich Jugendliche neu Erfahren können. So kann es den Jugendlichen langsam gelingen ihre tief verwurzelten Glaubenssätze aufzubrechen und durch Neue positive zu ersetzen.

Erlebnispädagogik – ein Lernraum mit viel Potential

Wer sich mit verhaltenskreativen Jugendlichen beschäftigt stösst unweigerlich auf die Erlebnispädagogik. Doch was ist Erlebnispädagogik überhaupt? Erlebnispädagogik nutzt handlungsorientierte Methoden, um einen Lernprozess in Gang zu setzen. Sozial- und Selbstkompetenz, die sinnliche Wahrnehmung und das Lernen durch Handeln wird gefördert. Die direkte Reflexion unterstützt den Lernprozess. Erlebnispädagogische Interventionen reichen vom gemeinsamen Kochen über dem Feuer, über handlungsorientierte Spielformen bis hin zu Expeditionen (einige Tage bis Monate) in der Natur. Alle erlebnispädagogischen Interventionen ermöglichen «alte» Handlungs- und Gedankenmuster zu überdenken, allenfalls aufzugeben und Neues auszuprobieren. Die Erlebnispädagogik fokussiert auf den Entwicklungsprozess von Menschen.

Was bietet TRIVAS an? Was zeichnet TRIVAS aus?

Trivas begleitet seit 12 Jahren Jugendliche in Veränderungsprozessen. Die Angebote haben sich über die Jahre gewandelt und den aktuellen Bedürfnissen angepasst. Die Erlebnispädagogik begleitet TRIVAS von Beginn an. Die verschiedenen Methoden mit und in der Natur bieten ein grosses Potential, um Veränderungsprozess in Gang zu bringen und sichtbar zu machen. Durch unzählige Expeditionen und Outdoortage mit Jugendlichen ist ein grosses erlebnispädagogisches Know-how entstanden, dessen wir uns in der täglichen Arbeit bedienen.

Ziel jeder Begleitung ist die Entwicklung respektive Stärkung von Perspektiven. Die Jugendlichen entdecken neue Ressourcen und Fähigkeiten und sammeln erste Erfahrungen mit deren Anwendung. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Erlebnispädagogik mit ihren vielseitigen Lernräumen. Individual-, Resilienz- und Klassentraining, alle nutzen die Kraft der Natur und handlungsorientierte Methoden.

Neben der Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen hat sich die systemische Arbeit mit allen Beteiligten etabliert. Unterstützung erhalten die Eltern im Elterncoaching. Herausfordernde Situationen kommen zur Sprache. Neue Handlungsansätze werden entwickelt, eingesetzt und reflektiert. TRIVAS orientiert sich auch am Konzept der «Neuen Autorität» nach Haim Omer. Während einem Individual-, Resilienz- oder Klassentraining berät TRIVAS auch die schulischen Fachpersonen. Denn eine Rückkehr in fast die gleiche Klasse birgt die Gefahr, in dieselben ungünstigen Fahrwasser zu gelangen.

TRIVAS macht die Erfahrung, dass eine nachhaltige Veränderung rund 12 Wochen benötigt. Einen Teil dieser 12 Wochen findet aber im Rahmen der Rückkehr statt, bei welcher bereits wieder die Schule besucht wird. Die Unterstützung erfolgt in dieser Zeit durch regelmässiges Coaching.

Time-out und Integration – passt das nun zusammen?

Aus unserer Sicht passt das zusammen. Denn es gibt immer wieder Jugendliche, die Grenzen überschreiten und den Rahmen der Unterstützung und Begleitung an Schulen sprengen. Diese Jugendlichen und ihre Systeme sind auf Unterstützung angewiesen, z.B. in Form eines Time-outs. Jedoch sind aus unserer Sicht vier Punkte zentral für ein gelingendes Time-out:

  • Der Jugendliche und dessen Entwicklung und Stärkung steht stets im Zentrum und nicht die «Entfernung» eines Problem-Jugendlichen.
  • Das Time-out bietet einen Mehrwert (etwas was die Schule nicht leisten kann): z.B. intensive Persönlichkeitsentwicklung, Naturerfahrungen oder eine enge Begleitung.
  • Die Rückkehr in die Klasse wird in wenigen Wochen anvisiert.
  • Eltern und Schule sind am Prozess beteiligt und arbeiten an sich selbst.

Können alle vier Punkte mit einem Ja beantwortet werden, bestehen gute Chancen für positive Veränderungen.


Samuel Geissdörfer, Individualpädagoge


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