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Kochen auf dem Feuer – eine komplexe Geschichte

In Zeiten von Fertigpizza, Burger King und Convenience Food geht die Komplexität von Kochen gerne vergessen. Ein wahrlich grosses Spiel- und Lernfeld mit hohem Genussfaktor. Auf unseren erlebnispädagogischen Expeditionen und Held*InnenReisen mit Jugendlichen nimmt das Kochen eine zentrale Rolle ein. Einerseits um unser Hungerbedürfnis zu stillen und andrerseits als vielfältiges Lern- und Erfahrungsfeld: Den Überblick behalten, mit Stress umgehen, kommunizieren und improvisieren. Themen, welche Ihnen auch im Alltag bekannt sind. Um einen kleinen Einblick zu gewinnen, nehmen wir Sie mit auf die Märzexpedition mit vier Jugendlichen im Zürcheroberland.

Entscheidungen sind gefragt

Da stehen die vier Jungs mit ihren grossen Rucksäcken im Dorfladen. In der Hand ihre Rezepte, welche Sie im Zug erarbeitet haben. Wo finde ich Reis? Uff, welchen Reis soll ich nehmen? Reicht 1kg Reis für 6 Männer oder braucht es nicht doch 2kg? Stehen sie an der Kasse, haben die Jungs bereits etliche Entscheidungen getroffen – auch mutige. Denn dies ist die einzige Einkaufsmöglichkeit für die nächsten Tage. Sie haben auch daran gedacht, dass Öl, Salz und Pfeffer bereits in einem ihrer Rucksäcke mitschaukelt und nicht nochmals zusätzlich eingekauft und mitgeschleppt werden muss.

Mis-en-place

Der dritte Abend der fünftägigen Expedition kündigt sich an. Ein herrlicher Waldplatz, durch dessen lichte Herbstbäume die Abendsonne strahlt. Mit einem erleichternden Seufzen plumsen drei Rucksäcke auf den Boden. Einer erhält einen kleinen Fluchimpuls und schlägt etwas härter auf. Die Eier haben wir zum Glück schon am Vortag gegessen. Der Koch des Abends verteilt Aufträge: «Holz sammeln», «Kochmöglichkeit einrichten», «Wasser holen», «Töpfe und Kochutensilien bitte zu mir». Dem Koch gelingt es, im zweiten Versuch ein Feuer zu entfachen. Der Holzsammler scheint es heute gemütlich zu nehmen, mit ein paar Stöcken kehrt er jeweils zurück. Ein kleiner Holzvorrat liegt neben dem Feuer bereit, als sich der Holzsammler ans wärmende Feuer setzt. Der Koch findet einen Helfer, der ihm bei Rüsten des Gemüses hilft. Nach 30 Minuten kehrt der «Wasserholer» zurück. «Die Quelle fliesst sehr langsam, wir müssen sparsam mit dem Wasser umgehen.» Beim Ablegen des Wassersacks steht er auf den Rand, des mit Zwiebeln gefüllten Tellers. Die geschnittenen Zwiebeln kullern über den Waldboden.

Überblick behalten – Jetzt wird es komplex

Im Topf kocht der Reis. Nein, er überkocht. Bitte schnell Hitze runterschalten. Das heisst, Feuerhandschuhe anziehen, Topf wegnehmen und an einer weniger befeuerten Stelle positionieren. Während dem «Umtopfen» brutzeln die Zwiebeln fröhlich vor sich hin und nehmen beachtlich Farbe an. «Gemüse bitte!» «Noch nicht ganz fertig.» «Ich brauche es aber jetzt.» «Easy, chills bro!»

Also Pfanne raus und einen kurzen Moment später mit Gemüse drin wieder rein. Ausgerechnet jetzt bläst auch noch der Wind den Rauch genau in die Augen. Es ist heiss und Hunger haben die Jugendlichen auch. Der Koch scheint in leicht aufgeheizter Stimmung zu sein. «Ich brauche mehr Feuer, Holz bitte.» «Es hat keines mehr.» «Dann steht bitte auf und sucht noch welches im Wald!»

«Kann jemand beim Reis schauen, ich kann jetzt nicht?» «Ist er so schon gut?» «Weiss nicht, probiere.» «Perfekt!»

Würzen – der Schlussspurt

Der dampfende Reis wartet auf seine Gemahlin, die Sauce, welche noch über dem Feuer köchelt. Mit Salz, Pfeffer und Curry erhält sie die richtige Würze. Doch wo ist nur das Curry? Die Frage in die Runde landet wieder beim Koch? Dieser eilt zu seinem Rucksack und durchsucht sämtliche Fächer, bis er fündig wird. Jetzt wird gewürzt und der Koch wünscht sich ein Urteil über die Würze seines Gerichtes. «Genau richtig» einerseits und «noch etwas fade» andrerseits, wird befunden. Der Koch entscheidet sich nachzuwürzen. «Fertig!»

Geniessen

Am Horizont glüht noch ein schwacher dunkelroter Streifen. Die Lichter von Zürich funkeln im Westen. Im Osten funkeln bereits die ersten Sterne durch das Blätterdach. In den Händen hält jeder seinen Teller mit herrlich riechendem Curry, warm dampfend direkt von der Feuerküche. Ein knisterndes Feuer macht Musik. Gedankenversunken scheinen die Jugendlichen das Essen zu geniessen. Ihren Hunger zu stillen. Es herrscht eine hungrige Stille. «Meine Mutter wäre stolz auf mich, wenn sie das sehen und essen würde», durchbricht der Koch die Stille. Wer solche Erinnerungen in sich trägt, wird sein inneres Feuer wohl ein Leben lang immer wieder damit nähren können.

Resümee

Wenn Sie regelmässig Kochen, sind Sie sich der Komplexität des Kochens wahrscheinlich wenig bewusst. Kochen fordert und fördert alle Sinne. Und trotz bester Kochbücher und Videoanleitungen bleibt beim Kochen immer ein grosser Interpretationspielraum: «Sind diese Zwiebeln schon glasig?», «Sind die Pasta schon al dente?»

Im Outdoor zu kochen erweitert die Herausforderung um einige Faktoren. Feuer entfachen und erhalten, Holznachschub im Auge behalten, Hitzeregulation durch Einheizen oder Umschichten, wenig Ablageflächen für Vorbereitungen. Hitze und Rauch sind ständige Begleiter. Kochen ermöglicht Erfahrungen zu sammeln, handelnd und nicht nur im Kopf. Gerade Jugendliche in Krisen werden oft mit negativer Kritik überhäuft. Wie da ein stilles und wortloses Feedback am Feuer schmeckt – ein Geschmacksverstärker besonderer Art. Da fällt es manchmal plötzlich leicht, Komplimente genüsslich anzunehmen. Die Erfahrung, komplexe Aufgaben meistern zu können, stärkt.

Und wie komplex wäre das Kochen über dem Feuer an einem regnerischen Novembertag im Schein der Stirnlampe?

Samuel Geissdörfer, Individualpädagoge

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